In ihrer Antrittsrede vor dem EU-Parlament hat die neue Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen angekündigt, dass Europa bis zum Jahr 2050 der „erste klimaneutrale Kontinent“ werden soll. Politische Entscheidungsträger von Bund, Ländern und Gemeinden fordern in Beschlüssen und Absichtserklärungen, den Klimanotstand auszurufen, Klimaziele nach oben zu schrauben und Klimaschutzmaßnahmen nochmals deutlich zu verschärfen. Umweltorganisationen und Bewegungen wie „Fridays for Future“ haben die Klimaschutzdiskussion massiv gepusht und setzen die Politik unter Druck.

 

 

Problem: CO2-Rucksack wird national statt produktbezogen zugerechnet

Treibhausgasemissionen (THG-Emissionen) machen vor nationalen Grenzen nicht Halt. Das wesentliche Ziel im Kampf gegen den Klimawandel ist daher, Beiträge zur globalen THG-Reduktion zu liefern. Werden Güter konsumiert, entstehen Emissionen durch Produktion und Transport oft an ganz anderen Orten dieser Welt. Der so entstehende „CO2-Rucksack“ eines Produktes kann mittlerweile sehr gut berechnet werden – und damit seine globale Gesamtbelastung.

 

CO2-Faktor 1,9 zugunsten von Produktion in Österreich: 1 Tonne Mehremission durch verstärkte Produktion in Österreich spart 1,9 Tonnen CO2 auf globaler Ebene. Umgekehrt führt die Verlagerung der Produktion ins Ausland letztlich zu fast 2-mal so hohen Emissionen.

 

Die schon im Jahr 2017 veröffentlichte Vorgänger-Studie climAconsum (http://www.indoek.at/climaconsum/index.htm) wies nach, dass sich in einer solchen konsumbasierten Betrachtung die österreichische THG-Bilanz massiv verschlechtert, nämlich um +50% CO2, da viele Importgüter einen hohen CO2-Rucksack mit sich tragen. Ebenso zeigte sich, dass vergleichbare Güter aus österreichischer Herstellung bei der Produktion deutlich weniger THG emittieren – u.a. aufgrund der fortschrittlichen Produktionsmethoden, der hohen Effizienz und des guten Energiemixes.

 

In der vorliegenden Studie climApro (https://www.wko.at/branchen/industrie/climapro-studie-industrielle-oekologie.html) wurde im Rahmen von drei Szenarien genauer betrachtet, welches Potenzial ein verstärkter Aufbau von Wertschöpfungsketten in Österreich im Hinblick auf klimaschonendere Produktion gegenüber der Produktion in anderen Herstellländern (EU-Länder ebenso wie nicht-EU-Länder) hätte. Zusätzlich wurden mögliche negative Auswirkungen einer Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland („Carbon Leakage“) analysiert.

 

Die Szenarien sind als Planspiel mit echten Zahlen zu verstehen. Sie sollen der interessierten Öffentlichkeit und der Politik zeigen, dass eine globale Treibhausgasreduktion nur dann erreicht wird, wenn man die Produktion von Gütern dort forciert, wo dies technologisch am fortschrittlichsten und emissionsärmsten zustande gebracht wird. Die Ergebnisse der Studie sollen helfen, sinnvolle Wege für die Verbindung von Klimaschutz und wirtschaftlicher Wertschöpfung zu erkennen, um sie gezielt fördern zu können.

 

Die Kernaussagen der Studie climApro 

  1. Die Szenarien zeigen, dass die zusätzlichen Emissionen aufgrund einer Ausweitung der industriellen Produktion in Österreich die globalen Gesamtemissionen überproportional reduzieren. Grund dafür ist der hohe technologische Entwicklungsstand und die vergleichsweise geringe Emissionsintensität der eingesetzten Energieträger in Österreich.
  2. Aus ökonomischer Sicht wäre global eine leichte Steigerung des Produktionswertes in den betrachteten Produktionsketten zu verzeichnen:
    • Für Österreich würde sich durch den zusätzlichen Produktionswert und den Wegfall des monetären Abflusses ins Ausland natürlich eine deutliche wirtschaftliche Verbesserung ergeben.
    • Die Steigerung des Produktionswertes in Österreich durch qualitativ hochwertige Produkte ist somit ein wesentlicher Eckpfeiler für die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Generierung von Wertschöpfung.
  3. Das erste Szenario (Re-Integrationsszenario) simuliert, dass weniger Zwischenprodukte importiert (400.000 t der wesentlichsten Produkte in den Materialgruppen, das sind etwa 2% der gesamten Materialmengen in den einzelnen Branchen) und diese stattdessen in Österreich hergestellt werden:
    • Dadurch steigen zwar die nationalen Emissionen, aber: 1 t an Mehremissionen in Österreich durch verstärkte Produktion von Zwischenprodukten bringt eine Einsparung von 1,9 t an THG-Emissionen auf globaler Ebene (ohne indirekte positive Effekte beim Export).
    • In Summe bringt das Szenario eine globale Einsparung von 440 kt CO2eq.
    • Ökonomisch gesehen erhöht sich der Produktionswert in Österreich um EUR 830 Mio., dies entspricht etwas über EUR 2.000 je Tonne reintegrierter Zwischenprodukte. Dieser Wertzuwachs entsteht durch die zusätzliche Produktion und die geringeren Ausgaben durch den Wegfall von Importen.
    • Global gesehen ergibt sich ein geringer Wertzuwachs im Ausmaß von EUR 30 Mio.
  4. Im zweiten Szenario (Vertiefungsszenario) werden Zwischenprodukte vermehrt zu Endprodukten weiterverarbeitet – und nicht wie bisher einfach exportiert (Volumen: 400.000 Tonnen).
    • Das spart in Summe global 370 kt CO2eq.
    • 1 t an Mehremissionen in Österreich spart damit global gesehen 1,24 t CO2eq ein.
    • Aus globaler Sicht ergeben sich mit einem Plus von EUR 20 Mio. nur geringe Unterschiede im Produktionswert.
    • Der Wertzuwachs in Österreich beträgt insgesamt EUR 920 Mio. bzw. etwa EUR 2.250 pro Tonne weiterverarbeitetem Zwischenprodukt.
  5. Das dritte Szenario „Carbon Leakage“ ist ein Negativszenario und simuliert eine Verlagerung von Produktionsstätten von Österreich ins Ausland.
    • Dadurch reduzieren sich die Treibhausgasemissionen Österreichs.
    • Global gesehen steigen die Emissionen allerdings in deutlich höherem Ausmaß (in Summe um 430 kt CO2eq).
    • 1 t an THG-Einsparung in Österreich bewirkt somit eine globale Mehremission im Ausmaß von 1,9 t CO2eq.
    • Der monetäre Wert in Österreich sinkt um EUR 830 Mio., ohne Berücksichtigung von weiteren negativen Effekten wie sinkende Steuereinnahmen oder negative Beschäftigungseffekte.

 

Die climApro-Studie wurde 2018/19 vom Institut für Industrielle Ökologie (Dr. Andreas und DI Bernhard Windsperger) im Auftrag von den WKÖ-Teilorganisationen Bundessparte Industrie, Fachverband Bergwerke und Stahl, Fachverband der Chemischen Industrie, Fachverband Metalltechnische Industrie, Fachverband der NE-Metallindustrie, Fachverband der Stein- und keramischen Industrie und der Abteilung für Umwelt- und Energiepolitik der Wirtschaftskammer Österreich sowie Austropapier erstellt.

 

Die climApro-Studie steht unter diesem Link zum Download zur Verfügung:

https://www.wko.at/branchen/industrie/climapro-studie-industrielle-oekologie.html

 

Autoren: Mag. André Buchegger, Wirtschaftskammer Österreich – Abt. für Umwelt- und Energiepolitik und Mag. Richard Guhsl, Wirtschaftskammer Österreich – Bundessparte Industrie